Seit der Veröffentlichung der Potentialanalyse der BEG wird heftig über das Gutachten, über das Pro und Contra einer Reaktivierung und über den sogenannten „PeopleMover“ debattiert.
Wir veröffentlichen hier das Statement unserer geo-net-Stadträtin Kerstin Krammer-Kneissl.
Aus der geo-net-Stadtratsfraktion:
Kerstin Krammer-Kneissl: „Ein Thema, das eine ganze Region betrifft“
Liebe Freundinnen und Freunde,
ich hoffe, es geht Euch trotz der mühsamen Zeiten allen gut und die Zuversicht auf eine baldige Rückkehr zu einem normaleren Leben mit herzlicher und gefahrloser Begegnung überwiegt…
Seit einem Jahr darf ich nun mit den Neulingen Steffi und Guido die Kommunalpolitik im Stadtrat „am eigenen Leib“ erfahren und deshalb wissen wir erst jetzt so richtig um die Mühen und das langwierige und manchmal auch anstrengende Recherchieren und Diskutieren – und die immense Wichtigkeit dessen, gerade in diesen Zeiten. Vielen Dank an alle, die in verschiedenen Funktionen die gesellschaftliche Entwicklung vorantreiben.
Zur Diskussion Steigerwaldbahn und People-Mover möchte ich gerne ein paar Gedanken mit Euch teilen, weil mir das Thema sehr wichtig ist.
Die Diskussion wird sehr emotional geführt. Aber ich möchte anmerken, dass das natürlich manchmal auch nötig und gut so ist, weil man nur mit Leidenschaft und ab und zu auch mit dem nötigen “Feuer“ eine Sache glaubwürdig vertreten kann. Die damit einhergehende Polemik und das Streiten unterhalb gewisser Linien ist eine andere, bedauerliche Sache.
„Mit dem nötigen “Feuer“ eine Sache glaubwürdig vertreten.“
Die Steigerwaldbahn ist ein Thema, das eine ganze Region betrifft – und die nahe und ferne Zukunft dieser Region. Sie ist kein Allheilmittel gegen die Klimakatastrophe, und auch kein Allheilmittel gegen alle Probleme auf dem Land. Aber sie ist ein wirksames, stabiles und tragfähiges Mittel, um einen Teil der schon existierenden und in der Zukunft brennenden Probleme anzugehen. Sie spielt flächendeckend eine immer wichtigere Rolle als „Klimaretter“ – und eine moderne Bahn ist ein absolut notwendiger Baustein für eine Mobilitätswende. Hier sind sich eigentlich alle einig, die sich mit Zukunftsfragen ernsthaft auseinandersetzen – wir haben hier wichtige „Zutaten“, um die Region Schweinfurt -Kitzingen auf diesen wichtigen Pfad in die Zukunft zu setzen. Die Früchte würden wir selbst vielleicht nicht mehr unbedingt ernten (wer weiß?), aber auf jeden Fall unsere Nachkommen – und in deren Sinne sollten wir auch möglichst bei allem handeln, was in Zukunft zu ver-handeln ist.
Wir müssen uns vor Augen halten: Die Klimakatastrophe zwingt uns zum Umdenken, alleine schon der Name „Klimawandel“ ist eine Verharmlosung. Das ist kein Alarmismus, sondern die Beschreibung der Realität – ich habe bei all den Live- und Online-Vorträgen über die Klimaveränderung und den notwendigen „Pfadwechsel“ noch keinen einzigen seriösen Wissenschaftler gehört, der dies nicht eindringlich und fast verzweifelt einfordert. Und deshalb müssen wir an allen Schrauben drehen, die uns zur Verfügung stehen, um die Folgen für unsere Nachkommen abzufedern.
„Die Wichtigkeit des Autos schon mit der Muttermilch aufgesogen.“
Leider gibt es bei diesem Thema aber widerstreitende – und sich widersprechende – Interessen, und natürlich bin ich nicht in einer objektiven Beobachterpose um urteilen zu können: Das eine hat seine Berechtigung und das andere nicht.
Was aber doch unstrittig sein sollte: Der Erhalt der Bahnstrecke und ein an der Zukunft ausgerichteter moderner, bequemer und attraktiver Bahnverkehr kann richtig viele Menschen dazu bewegen, auf ihr Zweit- oder Drittauto auf Dauer zu verzichten und stattdessen die Vorzüge dieser Version eines ÖPNV zu genießen. Auch wenn wir uns dies angesichts der kaputtgesparten Bahn noch immer nicht so gut vorstellen können, wir, die Älteren, die wir die Schönheit und Wichtigkeit des Autos und die „Hässlichkeit des ÖPNV“ schon mit der Muttermilch aufgesogen haben, zumal in der Provinz;-) Ich weiß, wovon ich spreche.
Auch wenn wir es vielleicht nicht so gerne hören möchten: Mit der Entwidmung würden wir einem von unseren Vorfahren unter Mühen geschaffenen, lange genutzten und von unseren Nachfahren mit Sicherheit noch rege nachgefragten modernen Bahnverkehr den Todesstoß versetzen…mit welcher Berechtigung eigentlich?
Wenn wir unsere Kinder und Enkel in der Zukunft fragen würden, würden wir sicher nicht deren Zustimmung dafür erhalten. Sondern in Bezug auf die Unumkehrbarkeit dieser Entscheidung sogar deren berechtigten Zorn und Enttäuschung ernten. Vielleicht ist der folgende Vergleich ein bisschen schief: Als Gästeführerin schaue ich immer in Gesichter voller Bedauern, wenn ich die Mitte des 19.Jhdts. per Stadtratsbeschluss abgebrochenen bildhübschen Eingangstore beschreibe, ähnlich derer in Volkach, die schlichtweg nur „im Weg waren“, deshalb abgebaut wurden (das Bewusstsein für den Denkmalschutz wurde erst in der Zukunft „erfunden“) und jetzt unwiederbringlich verloren sind. Niemand wird jemals wieder das Geld vorstrecken und sie wieder aufbauen, obwohl sie für die attraktive Altstadtansicht und den Tourismus so wertvoll wären. Verloren, für immer, durch eine bewusste (und am Ende leider falsche) Entscheidung. (Volkach war zu jener Zeit „ärmer“ als Gerolzhofen und hatte das notwendige Geld für den Abbruch seiner Tore und Türme nicht.)
„Anziehungskraft einer Wohn- und Arbeitsregion“
Die Zeiten ändern sich, und was lange unmodern war und scheinbar verzichtbar, weil es aus vielerlei Gründen auch so „behandelt“ oder missachtet wurde, kann für die Zukunft wieder interessant, ja essentiell für eine Region werden. Überall, wo ein Bahnanschluss vorhanden ist, ist die Anziehungskraft einer Wohn- und Arbeitsregion durch den Zuwachs an Ansiedelung oder weniger Landflucht richtiggehend ablesbar. Und überall, wo ein Bahnanschluss ist, wird gerade für junge Familien – und natürlich auch für Arbeitnehmer und ältere Personen – das Landleben leichter und attraktiver gemacht, gerade in den sich etablierenden Home-Office-Zeiten. Und der dazu passende Busverkehr wird in der Folge ebenso aufgewertet. Hier sind ja gerade im Landkreis Schweinfurt mit einem zukunftsweisenden und beispielgebenden neu aufgestellten Busverkehr schon die richtigen Impulse fürs „Umsteigen“ geleistet worden, angetrieben von Landrat Florian Töpper und fachlich hervorragend umgesetzt von der entsprechenden Abteilung im Landratsamt. Die Steigerwaldbahn würde dieses gut angelegte Netz vervollkommnen und eine verlässliche „Hauptschlagader“ ergeben – und mit der perspektivisch angedachten Streckenführung nach Kitzingen (für die es keinen utopischen Brückenneubau bedarf) wäre der Wert für die Region und auch die überregionale Bedeutung unermesslich. Diese auf lange Sicht durchaus realistische Entwicklungschance dürfen wir uns doch nicht verbauen!
Natürlich ist es immens wichtig, den Willen der Anwohner mit in die Entscheidung einzubeziehen, sie „mitzunehmen“. Aber nicht nur ich vermisse bei vielen Verantwortlichen in den Gemeinden auch die positive Erzählung der modernen Bahn in den Gemeinden. Was ist mit den Chancen, die ich vorhin beschrieben habe, mit dem allseits geforderten Umdenken angesichts der immensen Herausforderungen in der Zukunft? Geht es einigen wirklich nur um das kurzfristige „Versilbern“ von Grundstücken? Oder um die Angst vor der Diskussion mit Anwohnern, die natürlich mit Fug und Recht auch negativ auf eine Veränderung des Status Quo reagieren dürfen? Das kann und will ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, das wäre furchtbar bedrückend… Und schließlich sollte man sich auch nicht täuschen lassen, es gibt wesentlich mehr (vor allem jüngere) Befürworter und potentielle Nutzer dieses Verkehrsmittels, als einen die Gegner glauben machen wollen. Auch sie, nebenbei gesagt, sind Wähler, jetzt schon oder in der Zukunft…
Ich denke, gerade Beispiele wie Schonungen zeigen uns die Vorzüge und Chancen eines Bahnanschlusses auf. Der Kampf für die Steigerwaldbahn lässt sich sehr gut mit der Ökologie und einer sozialverträglichen Mobilitätswende in der Öffentlichkeit verbinden. Ein People-Mover ist kein massentaugliches öffentliches Verkehrsmittel, und nur ein solches wird auf Dauer für alle finanzierbar und zukunftsfähig sein.
Die Potentialanalyse der BEG sollte in der Gänze vorliegen – warum gibt es hier nicht eine vollständige Auskunftspflicht des Freistaats? Warum diese Geheimniskrämerei? Die Schliephake-Studie und die Kobra-Studie sind doch auch vollumfänglich einsehbar und überprüfbar! Das Thema ist zu wichtig, sich nur mit mündlichen Aussagen über die Berechnungsparameter abspeisen zu lassen – und die Differenz der Zahlen zu den bereits erfolgten als seriös anerkannten Studien ist einfach unerklärbar groß.
Der von der CSU vorgeschlagene Radschnellweg: Eine Förderung erscheint utopisch, die „Verwaltungsvereinbarung“ des Bundes verlangt mindestens täglich 2000 Radfahrende auf dieser Strecke! Außerdem lässt es sich nicht mit einem zweiten Verkehrsmittel auf der Strecke kombinieren, es ist absolut undenkbar, ein autonom fahrendes Vehikel auf der gleichen Strecke zuzulassen!
Der People-Mover: Das verschwindend kleine Fahrgastpotential bei geringer Reisegeschwindigkeit ist nachweislich nur förderfähig in nachfrageschwachen Gebieten, wo nur selten ein Bus fährt (ggf. als Zubringer zur Bahn geeignet?) Abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit der Umsetzung auf dieser Strecke ist es auch mehr als fragwürdig, inwiefern die hiesige Industrie von einem solchen „Spurbus“ profitieren sollte: Der Mover wird in Friedrichshafen gebaut und vertrieben, auch wenn Herr Eck etwas anderes glauben machen möchte. Hingegen kommt die Bahn mit ihren Bedarfen auch direkt dem Industriestandort SW zugute: Beispielsweise stellen SKF und Schaeffler Komponenten für die Bahn her.
Wer zahlt für den People-Mover?
Völlig ungeklärt ist, wer den erforderlichen Straßenbau für den People-Mover und Schnellradweg bezahlen darf. Wer trägt die Unterhaltskosten, wer übernimmt den Winterdienst? Für den Neubau der Straße und des Radwegs werden Flächen versiegelt, es müssen Grundstücke erworben oder enteignet werden, da die Breite der Trasse teilweise nicht ausreichend? Und wer übernimmt das dauerhafte Defizit des People-Movers?
Dass auch Gemeinderäte dem Vorhaben People-Mover skeptisch gegenüberstehen, zeigt die Diskussion in Grettstadt: https://www.mainpost.de/regional/schweinfurt/ist-das-projekt-people-mover-zu-breit-angelegt-art-10583501
Hier wird eine unausgegorene Idee hochglanzgestylt als realistische Alternative zur modernen Leichtgelenkbahn verkauft, ohne einen allzu ernsthaften Anspruch auf Realitätsbezug bzw. einer Realisierungswahrscheinlichkeit. Und die bereits mehrfach geforderten grundlegenden Berechnungen für einen fairen Vergleich beider Alternativen ist Herr Eck samt den Unterstützern Funk und Weiß bisher schuldig geblieben. Sie wissen wahrscheinlich, warum.
Was mir außerdem noch von einem sehr eindrucksvollen Vortrag des renommierten Wissenschaftlers Prof. Dr. Miosga der Uni Bayreuth in Erinnerung geblieben ist: Die Digitalisierung, u.a. das autonome Fahren, wird unsere Probleme mit der Erderwärmung nicht lösen, im Gegenteil: Er sprach von einem „Brandbeschleuniger“, weil die enormen Rechnerkapazitäten, die dafür notwendig sind, die Klimaveränderungen noch forcieren werden.
Verständigung und Dialog: natürlich!
Von Anfang an haben die Befürworter die Gegner zum echten Dialog und zum direkten und fairen Diskurs eingeladen. Als ich selbst noch unentschlossen und deshalb bei einigen „Bahnvorträgen“ zu Gast war, damals noch analog, habe ich die ruhige und sachliche Diskussionsatmosphäre bewundert und erstaunt festgestellt, dass die Gegner trotz wiederholter Aufforderung nur sehr selten Lust auf einen Austausch der Argumente hatten. In der Anonymität des Netzes wurde aber munter drauflos polemisiert. Dass ab und zu auch bei den anonymen Befürwortern mal daneben gehauen wurde, will ich nicht verschweigen. Wer aber noch nie bei den regelmäßigen Online-Veranstaltungen des VCD zum Thema teilgenommen hat, den kann ich nur dazu ermuntern. Es ist eine wahre Freude, so geht Diskutieren und Ausreden lassen. Und so geht Motivation;-)
Lasst uns gemeinsam am Ball bzw. an der Schiene bleiben. Und lasst die Kommunalpolitiker nicht aus der Verantwortung, nicht nur wohlfeile Worte über die Notwendigkeit einer Veränderung zu sprechen, sondern dies auch konkret in die Wege zu leiten, wo sie die Möglichkeit dazu haben. Und dafür zu werben, die Menschen für einen Pfadwechsel zu begeistern und nicht mit dem scheinbar verheißungsvollen „Weiter so“ auf dem Weg in eine noch verfahrenere Situation zu manövrieren.
Es geht um so viel. Und es geht nur zusammen.
Kerstin Krammer-Kneissl
Mitglied des Stadtrats in Gerolzhofen
Foto: Tom Söllner